Thesen zu Kapitalismus, Krise und Migration

Im Folgenden handelt es sich um den Einleitungstext zu einer Veranstaltung von USP-Antirazzista im Centro Sociale am 7. Juni 2012. Die Veranstaltung fand im Rahmen einer Veranstaltungsreihe zur Krise des Kapitalismus und ihrer ideologischen Verarbeitung statt.
Der Text ist eher als eine oberflächliche Annäherung an die Thematik zu verstehen und dementsprechend sehr lückenhaft.

Zusammenhänge zwischen Kapitalismus und Migration

Auch wenn Migration durchaus so etwas wie eine anthropologische Konstante ist, also zum „Wesen des Menschen“ gehört und immer stattfand, so hat die Migrationsdynamik im modernen (Krisen-)Kapitalismus eine neue Dimension erreicht. Die Migrationsursachen sind nicht mehr hauptsächlich in Widrigkeiten der „ersten (ökologischen) Natur“zu suchen, sondern vielmehr in der zerstörerischen Dynamik der kapitalistisch geprägten „zweiten (gesellschaftlichen) Natur“.
Massenhaft werden Menschen aus traditionellen Zusammenhängen gerissen und ihre Lebensgrundlagen zerstört. Hinzu kommt, dass große Teile der Welt im kapitalistischen Sinne unbrauchbar sind und die dort lebenden Menschen zu „Überflüssigen“ degradiert werden.
Im Zuge der kapitalistischen Globalisierung und des Weltmarktterrors sind momentan ca. 10 Prozent der Menschheit auf der Flucht und viele Fluchtursachen wie Krieg, Umweltzerstörung und Armut sind in direktem Zusammenhang mit dem globalisierten Kapitalismus zu sehen.

Was ist Kapitalismus?

An dieser Stelle kann keine ausgefeilte Kapitalismuskritik geliefert werden, sondern es geht lediglich darum die elementarsten Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus kurz darzustellen.
Es geht im Kapitalismus nicht darum, durch die Produktion von Lebensmitteln und sinnvollen Dingen, die Bedürfnisse Aller zu befriedigen, sondern lediglich darum Profite zu erwirtschaften. Die Bedürfnisbefriedigung ist der selbstzweckhaften Verwertung des Werts lediglich nachgelagert. Aus Geld muss, über die Warenproduktion, mehr Geld gemacht werden (G-W-G‘). Die Quelle dieser Wertsteigerung ist die abstrakte Arbeit durch die jene Waren produziert werden.
Dieses bornierte Prinzip gewann im Laufe der kapitalistischen Entwicklung immer mehr an Dominanz und ist mittlerweile, in unterschiedlichsten Formen, in allen Bereichen der Erde und in allen Milieus, Kulturen, etc. wirksam.
Natürlich lässt sich nicht alles unter diesen Mechanismus subsumieren und es gibt Bereiche die nicht im Wert aufgehen können und davon abgespalten sind. Diese abgespaltenen Bereiche sind jedoch nur die Schattenseite der Wertvergesellschaftung und für die Funktionalität des Systems unabdingbar (bspw. Hausarbeit, Kindererziehung, Pflege, etc.).
Dieser Prozess der „negativen Vergesellschaftung“ über die Wertverwertung ist den Menschen in der Regel nicht bewusst und sie nehmen die daraus resultierende Gesellschaftsform als etwas ganz natürliches wahr. Das kapitalistische System mit all seinen Formen und Abläufen ist ihnen in Fleisch und Blut übergegangen und zur „Zweiten Natur“ geworden. Sie machen ihre Gesellschaft also nicht selbst (bewusste Vergesellschaftung), sondern werden von einer Dynamik getrieben, die ihnen unbewusst bleibt. In der kapitalistischen Moderne ist jede Gesellschaftlichkeit von der negativen Totalität des Werts durchzogen.
Anders formuliert:
„In der Moderne ist die gesellschaftliche Struktur bestimmt durch den Versuch, alles Menschliche der Verwertung des Kapitals unterzuordnen (egal ob in Formen des Konkurrenzkapitalismus oder des Staatskapitalismus). Die Logik des Kapitals besteht darin, durch die Anwendung menschlicher Arbeitskraft „abstrakten Reichtum“ (Marx) zu produzieren, aus einem Dollar (oder Euro oder Real) zwei zu machen in einem endlosen Verwertungsprozeß als Selbstzweck. Erst diese Logik hat die Warenproduktion und damit den Markt zu einem universellen, die Gesellschaft dominierenden System gemacht. Die Ökonomie in diesem modernen Sinne, so könnte man ironisch sagen, ist heute die Stiefmutter aller Dinge. Wenn das „Ökonomismus“ ist, wie die postmodernen Ideologen meinen, dann handelt es sich jedoch um einen gesellschaftlich realen und objektiven Ökonomismus; und als diese negative Realität ist er zu kritisieren, nicht wegzulügen und als bloße Ideologie zu verharmlosen.
Der kapitalistische Real-Ökonomismus geht zwar nicht auf, sein absoluter Anspruch ist uneinlösbar; und deshalb muß er alles, was er nicht vollständig erfassen kann, von sich abspalten und es minderwertig und zweitrangig machen (vor allem die den Frauen zugeschriebenen Momente des Lebens und der Reproduktion). Den strukturellen Kern der offiziellen Gesellschaft aber bildet die Ökonomie der Verwertung, und der Einsatz der gesellschaftlichen Ressourcen wird davon bestimmt. Die Politik kommandiert nicht diese Ökonomie, das war eine Illusion der Modernisierungsgeschichte, sondern sie ist nur eine sekundäre Sphäre der Bearbeitung von Problemen, wie sie aus dem Verwertungsprozeß resultieren; das gilt auch für den Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln (Clausewitz).“ (R. Kurz)

Der globale Kapitalismus

Die expansive Tendenz des Kapitals lässt sich nicht in nationalen Grenzen dauerhaft einbannen und spätestens mit der kapitalistischen Globalisierung hat das Kapital sämtliche nationalen Beschränkungen gesprengt. Somit kann sich die destruktive Dynamik jener „Selbstzweckhaftigkeit“ vollends entfalten und politische Regulation ist kaum noch möglich bzw. die systemkonforme Realpolitik knickt regelmäßig vor den „Sachzwängen“ und Anforderungen der Wirtschaft ein.
Aktuell ist kein Ort der Erde mehr frei von der Verwertungslogik bzw. unabhängig vom Weltmarkt und alle Menschen sind darauf angewiesen der kapitalistischen Norm zu entsprechen bzw. ihr Überleben hängt von ihrer Verwertbarkeit ab.
Die für den Frühkapitalismus gängige Beschreibung der „Ursprünglichen Akkumulation“ wiederholt sich nun überall auf der Welt und Menschen werden aus ihren Zusammenhängen gerissen und ihre Lebensgrundlagen werden zugunsten der Wertverwertung zerstört. Die Folge sind moderne Sklavenverhältnisse in der Landwirtschaft, BilliglohnsklavInnen und „Inseln der Produktivität“ in einem Meer der Armut.
Die Globale Konkurrenz auf dem kapitalistischen Weltmarkt ist gnadenlos Jenen gegenüber, die in dem Wettlauf der Produktivkräfte nicht mithalten können und die aufgrund der historischen Entwicklung keine Chance mehr haben die reichen Länder einzuholen.

Historie der Migration im Kontext der frühen kapitalistischen Entwicklung und Expansion.

Die vormoderne Migration war hauptsächlich eine Reaktion auf die erste Natur (Dürren, etc.). In der Moderne sind die Migrationsbewegungen eher als Reaktionen auf die Zerstörungen der „zweiten (gesellschaftlichen) Natur“ zu verstehen. So hat bspw. die kapitalistische Naturbeherrschung zu einer fatalen Zerstörung der Natur geführt.
Allgemein verlieren die Menschen, durch die Unterwerfung unter die kaum steuerbare Dynamik kapitalistischer Selbstzweckhaftigkeit, die Kontrolle über ihre eigene Gesellschaftlichkeit. Sie sind nicht bewusst solidarsich-kooperativ vergesellschaftet und machen ihre Gesellschaft (Geschichte) selbst, sondern in destruktiver Weise über die kapitalistische Verwertungslogik.
In den Anfängen der kapitalistischen Modernisierung war die häufigste Form der Migration die Binnenmigration durch Vertreibung und „Doppelte Freisetzung“ („frei“ von Eigentum/Produktionsmitteln und „frei“ von ständischen Zwängen bzw. rechtlich „frei“). Von Marx wird jener Prozess der Einverleibung von Land und Leuten für die frühe Ökonomie als „Ursprüngliche Akkumulation“ bezeichnet.
Die weit verbreitete „Vagabondage“ im 18. Jahrhundert wird mit der Industrialisierung durch die massenhafte „Landflucht“ in die Städte ergänzt.
Ab dem späten 18. Jahrhundert findet eine verstärkte Migration, über die Grenzen und Kontinente hinweg, statt (u.a. durch Modernisierungskrisen, „Pauperisierung“, Verelendung. Hoffnungen auf ein besseres Leben jenseits von Armut und Repression.). Die Elemente des Kapitalismus sind jedoch schnell auch in der neuen Welt vorhanden, da die damaligen MigrantInnen die bürgerliche Subjektivität im Gepäck mitbringen.
Die frühkapitalistische Migration hatte noch keinen universellen (globalen) Charakter, sie bezog sich auf die frühkapitalistischen europäischen Länder sowie Nordamerika und war eher das Resultat des unterschiedlichen Entwicklungsstands der jeweiligen Länder.

Die Grenzen des Kapitalismus

Die kapitalistische Dynamik ist jedoch nicht frei von Widersprüchen und inneren Begrenzungen, die im Laufe der kapitalistischen Modernisierung auf immer höherer Produktivitätsstufe aufgelöst wurden („prozessierender Widerspruch“).
Diese Widersprüchlichkeit besteht kurz formuliert darin, dass durch die konkurrenzbedingte Produktivkraftentwicklung die Quelle des Werts (menschliche Arbeitskraft) zunehmend „weg rationalisiert“ wird. Folge ist die Reduzierung des wertförmigen Reichtums, was wiederum die Funktionsfähigkeit der Gesellschaft untergräbt. Der Kapitalismus ist schlicht formuliert, spätestens mit der Einführung der Mikroelektronik, zu produktiv für sich selbst geworden.
Nicht zufällig fallen die inneren Grenzen des Kapitalismus zusammen mit den äußeren Schranken niedergehender Ökosysteme, schwindender Rohstoffe und einer einsetzenden Klimakatastrophe. Dies kann damit begründet werden, dass der schwindende wertförmige Reichtum in den Waren einen verstärkten Warenausstoß benötigt um die Wertrate stabil zu halten. Hierfür werden dann immer mehr natürliche Ressourcen benötigt, was zu steigender Naturzerstörung führt.
Das kapitalistische System hat jedenfalls logische innere und äußere Schranken, die sich gegenseitig bedingen. Es sieht aktuell nicht danach aus, als könne der „prozessierende Widerspruch“ (Marx) erneut auf einer höheren Stufe der Produktivität aufgelöst werden, wie es bspw. durch die Einführung der fordistischen Produktionsweise geschah.
Das Resultat ist ein Schrumpfungsprozess der funktionierenden Bereiche in denen so etwas wie „kapitalistische Normalität“ simuliert werden kann. Mit der Folge, dass immer mehr Menschen im kapitalistischen Sinne „überflüssig“ werden.

Der globale Kapitalismus in der Krise

Der krisenbedingte Schrumpfungsprozess des Kapitals führt also zu einem „insularen Kapitalismus“ um überhaupt so etwas wie einen „funktionierenden Kapitalismus“ zu simulieren. Die Illusion der propagierten „Normalität“ von Demokratie und sozialer Marktwirtschaft ist nur noch durch den Erhalt jener Inseln aufrecht zu halten. Es entstehen Oasen der Verwertung und ökonomische Wüsten. Viele Weltregionen sind komplett abgekoppelt ohne jedoch aus den Zwängen des Weltmarkts entlassen zu werden.
Da die Warenproduktion immer mehr an Integrationskraft einbüßt, müssen immer mehr „überflüssige Menschen“ in Sekundärkreisläufen, als ElendsunternehmerInnen, als AbfallsammlerInnen, billige DomestikInnen, durch letzte Subsistenzstrukturen, etc., aber auch durch Plünderungsökonomie und organisierte Kriminalität, versuchen zu überleben oder sie verfallen der absoluten Verelendung.
Wurden früher die Menschen aus der agrarischen Produktion „freigesetzt“ für die ökonomische Verwertung, so werden sie heute massenhaft aus der Verwertung herauskatapultiert. Es könnte von einer „Doppelten Entwürdigung“ gesprochen werden und zwar in dem Sinne, dass die Menschen erst dazu herabgewürdigt werden sich als „Ware Arbeitskraft“ verkaufen zu müssen um dann nicht mal mehr dies zu können, da sie schlicht nicht gebraucht werden. Es findet kaum noch Mobilisierung von Arbeitskraft statt, sondern im Gegenteil deren Demobilisierung, was für das Ende der immanenten kapitalistischen Entwicklungsfähigkeit spricht.
Dieses ökonomische „überflüssig werden“ spiegelt sich auch auf der rechtlichen Ebene wieder. So droht all den ökonomisch Unbrauchbaren in Zuge des „Ausnahmezustands“ die Reduzierung auf ihr „nacktes Leben“. Der entsprechende Ort für jene Menschen ist das Lager. Allgemein ist die kapitalistische Produktions- und Lebensweise ein permanenter, relativer Ausnahmezustand unter dem Dauerterror der Verwertung und das Lager ist untrennbar mit dieser Gesellschaftsform verwoben. In Zeiten der Krise spitzt sich der relative, demokratisch-rechtlich abgemilderte, permanente Ausnahmezustand der Normalität zu einem absoluten Ausnahmezustand der völligen Entrechtlichung und Kontrolle zu. Dies gilt dann insbesondere für all Jene, die nicht mehr den Anforderungen der kapitalistischen Verwertungsmaschine entsprechen können. Momentan findet diesbezüglich nicht nur eine Ausgrenzung nach Außen (Migrationsabwehr, etc.), sondern auch nach Innen statt (Knäste, Flüchtlingslager, restriktive Menschenverwaltung, Elendssiedlungen, etc.).
In der Krise entstehen Inseln der „ersten Welt“ innerhalb der „dritten Welt“ und umgekehrt. Im Zuge des Krisenprozesses vergrößern sich die „dritten Welten“ in der „ersten Welt“ und die Krise frisst sich ins Zentrum.
Die zerstörerische Dynamik der Globalisierung äußert sich also folgendermaßen: Vergrößerung der „ökonomischen Wüsten“ zugunsten produktiver Inseln und Vergrößerung der ökologischen Wüsten durch Naturzerstörung.
Das zerstörerische Potential des Kapitalismus kommt an den Schranken des Systems vollends zum Vorschein und zunehmende „Barbarisierung“, sowie ökologische Zerstörung sind die logischen Folgen eines wahnsinnigen Gesellschaftssystems das seinen Zenit lange überschritten hat.
Weltordnungskriege und weltpolizeiliche Einsätze zur notdürftigen Befriedung von Krisenregionen, sowie zur Sicherung ökonomischer Handelsrouten bzw. der Bewegungsabläufe des transnationalen Kapitals, sind die zynische Konsequenz der kapitalistischen Krisenverwaltung.

Migration im Kontext der Krise

War das Grundmuster im expandierenden Kapitalismus noch die Zurichtung des Menschen für die „abstrakte Arbeit“ und dem kapitalistischen Hunger nach „hands“ so ist die Situation heute eine grundsätzlich andere (s. Der globale Kapitalismus in der Krise). Hinzu kommen die Zerstörungen und sozialen Verwerfungen im Zuge der kapitalistischen Globalisierung.
Dementsprechend hat auch die Migrationsdynamik eine neue Qualität und unterliegt anderen Strukturen als noch zu Zeiten der kapitalistischen Expansion mit Spielräumen der inneren Entwicklungsfähigkeit.
Heute hat die Migration einen universellen (globalen, mehrdimensionalen) Charakter erreicht und die massenhafte sozioökonomisch erzwungene Migration ist ein Indiz dafür, dass die gesellschaftlich blinde Dynamik des Kapitalismus außer Kontrolle gerät.
Die Binnenmigration, also die Flucht aus verödeten, ökonomisch verwüsteten Regionen in die Oasen der Produktivität innerhalb eines Landes, spielt sich heute nicht mehr in einer Perspektive der Entwicklung ab und die ökonomischen Oasen sind nicht mehr in der Lage alle Menschen in den Verwertungsprozess zu integrieren. Aus der früheren Entwicklungsmigration wird somit verstärkt eine massenhafte und zunehmend perspektivlose „Elendsmigration“. Resultat sind riesige Städte mit wachsenden Elendssiedlungen, die nur einem Bruchteil der BewohnerInnen eine „Perspektive“ in der kapitalistischen Verwertungsmaschinerie geben können.
Auch innerhalb der westlichen Länder findet eine Binnenmigration aus verarmten Regionen in die Zentren statt (Bspw. in Deutschland von Ost nach West).
Die „universelle Migration“ in Zeiten der kapitalistischen „Endkrise“ macht natürlich nicht vor nationalen Grenzen halt und es entsteht eine neue Dimension der sozioökonomisch verursachten „Massenmigration“ über Länder und Kontinente hinweg. Auch die Migration über Grenzen und Kontinente hinweg findet heute, im Gegensatz zu früheren Zeiten der wirtschaftlichen Expansion, keine Entwicklungsperspektive mehr vor.
Die Tendenzielle Richtung der Migration ist von Ost nach West und von Süd nach Nord, also in die letzten Inseln der Verwertung und die Zonen der Weltmarkt-Integration.

Globale Krisenbearbeitung

Die Formen administrativ-politischer Krisenbearbeitung lassen sich kurz folgendermaßen skizzieren: Im Inneren durch kapitalistisch-bürokratische Menschenverwaltung und teils offene Repression mit der permanenten Drohung des „Ausnahmezustands“ und der Reduktion auf das „nackte Leben“. Nach Außen durch politische Regulation (auch Finanz- und Wirtschaftspolitischer Natur, in letzter Konsequenz mit kriegerischen Aktivitäten „weltpolizeilich“ legitimiert) und durch Ausgrenzung der „überflüssigen“ Menschen von den schrumpfenden Inseln der Produktivität.

Verwertung der Migration

In der Vergangenheit des Wirtschafswunderkapitalismus und der fordistischen Prosperität war es so, dass massenhaft MigrantInnen angeworben wurden um einerseits den Mangel an „hands“ zu kompensieren und andererseits die ungeliebten „Drecksarbeiten“ von anderen erledigen zu lassen.
Heute stellt sich die Situation anders dar. Die ehemaligen Hauptbeschäftigungsfelder für ArbeitsmigrantInnen sind durch Automatisierungspotentiale verschwunden und MigrantInnen werden heute hauptsächlich in informellen Billiglohnsektoren in der Landwirtschaft, als private „DomestikInnen“ in der Pflege- und Hausarbeit, aber auch in der (Elends-)Prostitution ausgebeutet. Ein kleiner Teil der „kontrollierten Migration“ besteht aus hoch qualifizierten ExpertInnen, die den Fachkräftemangel in der „Hightechproduktion“ und den Exportindustrien kompensieren.
Für viele Einzelkapitale ist die Ausbeutung von MigrantInnen ein „Wettbewerbsvorteil“ gegenüber ihrer Konkurrenz (ähnlich der Ausnutzung globaler Kostengefälle im Kontext des Weltmarkts), da sie „billiger“ arbeiten und in der Regel kaum mit sozialen Rechten ausgestattet sind.
Für die jeweils nationalen Arbeitskräfte stellen die MigrantInnen eine „Billiglohnkonkurrenz“ dar und sie werden von Arbeitgeberseite ausgenutzt um die Preise für die Arbeitskraft zu senken, was bei den ArbeiterInnen zu fiesen Ideologien wie Rassismus, Nationalismus, Standortchauvinismus, etc. führen kann, wenn nicht das kapitalistische System als Ganzes in Frage gestellt wird. Hinzu kommt, dass auch die jeweils „nationale Arbeitskraft“ von dem Krisenprozess betroffen ist und von einem „Absturz der Mittelklassen“ die Rede ist.
Somit werden auch viele der „überflüssigen“, „herausgefallenen“ und „prekarisierten“ nationalen Arbeitskräfte unter dem Druck der inneren Krisenbearbeitung von der bürokratischen Menschenverwaltung dazu gezwungen nun auch jene „Billiglohnjobs“ zu verrichten, die vorher hauptsächlich von migrantischen „Saison- und BilliglohnarbeiterInnen“ erledigt wurden.
Für temporäre ArbeitsmigrantInnen besteht der (zweifelhafte) Vorteil dieser Konstellation teilweise darin, dass ihr Lohn aufgrund der Gefälle der Wechselkurse mit dem jeweiligen Herkunftsland wenigstens halbwegs hinnehmbar ist.
Viele Menschen in der kapitalistischen Peripherie sind auf Transfers der MigrantInnen angewiesen, was ein weiterer Beleg dafür ist, dass wachsende Teile der Welt aus ökonomischer Perspektive nur noch „künstlich ernährt“ werden und keine eigene „kapitalistische Existenzfähigkeit“ besitzen.

Ideologische Reaktionen

Die kapitalistisch konditionierten und national verblödeten Konkurrenzbestien reagieren auf diese Entwicklungen mit brutalen Ideologien wie Rassismus, Nationalismus, Antisemitismus, Antiziganismus, etc.
Ein Ausweg aus dieser brutalen Dummheit wäre eine grundsätzliche Systemkritik, die sich traut, jenseits verkürzter Sündenbocksuche, die herrschenden Verhältnisse radikal in Frage zu stellen und die rigoros das, durchaus machbare, „gute Leben“ für alle Menschen einfordert. Dieses „gute Leben“ ist aber nur jenseits kapitalistischer „Sachzwänge“ und nationaler Begrenzungen zu finden.

MigratInnen als „Revolutionäre Subjekte“ ?

Innerhalb der antirassistischen Linken gibt es durchaus romantisierende Projektionen bezüglich der MigrantInnen, die teils problematisch sind. So werden gelegentlich MigrantInnen die verständlicherweise auf der Suche nach einem besseren Leben sind zum „revolutionären Subjekt“ per se verklärt. Dabei wollen viele MigrantInnen verständlicherweise lediglich Teil jener Normalität sein, die ihnen verschlossen bleibt. Sicherlich könnten viele MigrantInnen dann auf die Idee kommen, daß dieses System grundsätzlich schlecht ist und ein kritisches Bewusstsein entwickeln.
Viel wahrscheinlicher aber ist, dass Menschen, die im kapitalistischen Sinne überflüssig sind, es anstreben ein gleichberechtigter und anerkannter Teil der bürgerlich-kapitalistischen Normalität zu werden und so etwas wie bürgerlich-rechtliche Gleichstellung einfordern. Diese Forderungen sind legitim und naheliegend, auch wenn sie keine grundsätzliche Emanzipationsperspektive beinhalten.
In der kapitalistischen Modernisierungsgeschichte gab es viele Gruppen, die für ein besseres Leben in den falschen Verhältnissen gekämpft haben. Diese Kämpfe waren, wenn überhaupt, jedoch nur erfolgreich, weil der Kapitalismus noch eine Entwicklungsperspektive hatte.
In der aktuellen Krisensituation wird es jedoch immer weniger Handlungsräume für reformistische Forderungen geben, da sie schlicht nicht finanzierbar sind. Die Überwindung des Kapitalverhältnisses drängt sich also förmlich auf und es sind letztlich alle Menschen dazu aufgefordert dem kapitalistischen Wahnsinn ein Ende zu bereiten. Warum sollten aber ausgerechnet nun lediglich jene Menschen dieses System bekämpfen, die ohnehin schon gnadenlos gegängelt werden? Letztlich ist die komplette Menschheit von der repressiven Logik des ökonomischen Terrors gefangen, auch wenn sie noch so viel von „bürgerlicher Freiheit und Glück“ palavert. Hinter der brüchigen Fassade des bürgerlich-demokratischen Glücksversprechens befindet sich nichts als die völlige Leere der ökonomischen Dauerverwertung.

Fazit für antirassistische Praxis

Forderungen nach Bleiberecht, rechtlicher Anerkennung, globaler Reisefreiheit etc. sind wünschenswerte Verbesserungen, die jedoch im Kapitalismus nicht für alle Menschen realisierbar sind, da der Kapitalismus generell vielfältigste Ausschlüsse und VerliererInnen produziert.
In der Krise hat der Kapitalismus immer weniger Integrationskraft und er wird zu einer globalen Minderheitenveranstaltung (insularer Kapitalismus), die jedoch den Rest der Menschheit mit in den Abgrund zieht und ihr die kapitalistischen Pseudo-Naturgesetze aufzwingt.
Eine wirkliche Perspektive, neben sinnvollen reformistischen Übergangsforderungen, kann demnach nur darin bestehen mit der kapitalistischen Gesellschaftsform kategorial zu brechen.
Ein gutes Leben für alle Menschen auf diesem Planeten ist nur jenseits des Kapitalismus zu realisieren und eine konsequente antirassistische Praxis kann sich der theoretischen Auseinandersetzung mit den abstrakt-allgemeinen systematischen Ursachen nicht länger verweigern und dies als „ökonomischen Reduktionismus“ abtun. Im Gegenteil ist zu Befürchten, dass eine „betriebsblinde“, antirassistische Bewegung von der Krisendynamik überrollt wird, wenn sie sich dem Themenkomplex vom Kapitalismus und seiner Krise nicht stellt. Eine weitere Ignoranz gegenüber dieser Thematik wäre fatal.

Hauptquelle für diesen Text ist das Buch „Weltordnungskrieg“ von Robert Kurz.